Die politischen Gründe für die Niederlage von 1940


Frankreich ging 1918 siegreich, aber ausgeblutet aus dem 1. Weltkrieg hervor: 1, 4 Mio. Tote, 3,5 Mio. Verletzte, davon eine Mio. Invaliden, keine Familie blieb von den Verlusten verschont, die Männer hatten es akzeptiert, sich zu opfern, weil sie glaubten dieser Krieg sei endgültig der letzte. Ein tiefes Gefühl des Pazifismus ergriff das Land, man wollte um jeden Preis ein neues Blutbad verhindern.

Der Krieg von 1914-18 hatte den Staat mehr als 60 Milliarden Goldfranc gekostet, die Regionen im Norden und Osten waren verwüstet, alles musste wieder aufgebaut werden, man glaubte, dass Deutschland dafür büßen würde! Noch vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages (des „Diktates“ für die Deutschen) am 28. Juni 1919 stellte sich für die Franzosen die wichtige Frage nach der Wahl ihrer Verteidigung für die Zukunft.

Nach verschiedenen Analysen, legte das Oberkommando zwei entgegengesetzte Strategien vor, um einen eventuellen Krieg zu führen: entweder wollte man das Terrain defensiv befestigen, um das Staatsgebiet abzusichern, oder das Heer modernisieren und den Krieg ins Land des Feindes tragen.

Den Ideen Fochs, der zu Beginn von Clémenceau unterstützt wurde und als Präventivmaßnahme das gesamte linke Rheinufer besetzen wollte, stellten sich Joffre und Pétain entgegen, die in der Defensive den Vorteil sahen, den Kampf auf bekanntem Terrain zu führen, welches man im Voraus befestigen konnte, sowie die Chance in Sicherheit Truppen zu mobilisieren.

Nach langen hitzigen Diskussionen, entschied man sich für die Konstruktion befestigter Zonen, die einzige Möglichkeit eine Antwort auf folgende komplexe Probleme zu finden:
- Vermeidung eines Überraschungsangriffs, Alarm schlagen
- Deckung der Mobilisierung der französischen Armee (benötigte zwischen zwei und drei Wochen)
- Kompensation der fehlenden Jahrgänge von 1914-18 durch eine Einsatzbereitschaft ab 1934
- Sparsamkeit im Umgang mit den Truppen (Frankreich zählte 39 Mio. Einwohner, Deutschland 70 Mio.)
- Schutz Elsass-Lothringens mitsamt seinem Industriebecken (1918 nach Frankreich zurückgekehrt)
- Basis für eine Gegenoffensive
- den Feind zwingen auf einen Angriff über die Schweiz oder Belgien auszuweichen

Unter den Ministerien Paul Painlevés wurden zwei Kommissionen gebildet: die C.D.F (Commission de Défense des Frontières = Kommission zum Schutz der Grenzen, 1925-1931), welche den Verlauf, die groben Formen, die Organisation der Befestigung und einen ersten Kostenvoranschlag ausarbeitete. Außerdem die C.O.R.F (Commission d'Organisation des Régions Fortifiées = Kommission zur Organisation der befestigten Regionen, 1927-1935), welche den Bedarf festlegte, die Pläne ausarbeitete und die Bauarbeiten realisierte.

Ende 1929 löste André Maginot Painlevé ab und stellte ein Programm vor, das mit 90 % der Stimmen vom Senat verabschiedet wurde und als Maginot-Linie in die Geschichte eingehen wird. Es sah für 5 Jahre einen Kredit von 2,9 Milliarden Franc für die Konstruktion der Anlagen der Befestigungslinie vor. Man muss dabei jedoch berücksichtigen, dass diese Zahl deutlich unter den Kosten liegt, welche eine Modernisierung nur der Hälfte der französischen Divisionen verschlungen hätte (d.h. 5 Milliarden Franc dieser Zeit für 55 Divisionen).

Im Nordosten waren zwei befestigte Regionen eingeplant: die RFM (Région Fortifiée de Metz) und die RFL (Région Fortifée de la Lauter). Angesichts Italiens (und der territorialen Forderungen Mussolinis) befestigte man die Alpen, sowie Korsika und Tunesien (Mareth-Linie).

1935 hätte Frankreich eigentlich das Rheinland räumen und dem Saarland ein Referendum anbieten müssen. Ab 1930 werden die rheinischen Gebiete aufgegeben und das Saarland wieder ins Reich eingegliedert (1935). Nach der Machtergreifung Hitlers, erzwingen die politischen Spannungen eine Wiederaufnahme der Arbeiten an der Maginot-Linie, um das saarländische Plateau, den Brückenkopf von Montmédy und die Region von Maubeuge zu schützen. Ein weiterer Kredit von 1,5 Milliarden Franc wird aufgenommen, allerdings haben diese neuen Befestigungen nicht den Verteidigungswert der ersten Festungswerke.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verteidigung des Nordens (gegenüber Belgien), mehr aus politischer denn aus industrieller oder strategischer Sicht. Die Tatsache, dass die Deutschen 1940 über Belgien angegriffen haben, ist in der Tat einer der größten im Nachhinein geäußerten Kritikpunkte an der Maginot-Linie. Und der Leser wird erstaunt sein zu erfahren, dass dies von den französischen Strategen vorhergesehen und sogar erstrebt wurde.

Man muss in den französisch-belgischen Beziehungen zwei unterschiedliche Perioden unterscheiden. Ab 1920 verband ein militärisches Bündnis die beiden Länder und die belgischen Verteidigungslinien verlängerten die Französischen, indem sie sie vor einem deutschen Angriff aus dem Norden absicherten.

1936 änderte sich die Lage völlig als Belgien seine Neutralität erklärte und jegliche Kooperation mit Frankreich beendete (einer der Konsequenzen der Zurückhaltung als Hitler das Rheinland besetzte).

Belgien ist der kürzeste Weg, um die großen Ansiedlungen des Nordens, wo ein Großteil der Schwerindustrie und des Bergbaus Frankreichs lokalisiert ist, zu erreichen und zu besetzen, aber auch um nach Paris und zu seiner wichtigen Industrieregion zu kommen. Eine leichte Befestigung der Grenze reichte nicht aus, man musste das Land schützen ohne Belgiens Neutralität zu verletzen. Abgesehen von einigen kleinen Befestigungsanlagen, welche mehr symbolisch als wirklich effizient waren, ließ man die Grenze im Norden ungeschützt.

Der Schutzschild, den die Maginot-Linie im Nord-Osten bildete, erfüllte im Grunde seine abschreckende Wirkung und zwang die Deutschen seine Flügel zu umgehen. Ein Angriff über die Schweiz war unwahrscheinlich, da schwer ausführbar, deshalb musste man durch Belgien vorstoßen.

Der Verstoß gegen Belgiens Neutralität war ein Vorteil für Frankreich, denn Brüssel bat nun um Hilfe. Folglich war Paris legitimiert mit seinen modernsten Truppen (motorisierte Divisionen) in Belgien einzumarschieren. Diese Truppen beziehen im Norden Stellung, so dass die Frontlinie verkürzt und das Feindfeuer vom für die Rüstungsindustrie derart wichtigen Bassin abgelenkt wird. Zudem tolerierte England die Besetzung des Hafens von Anvers durch Hitler nicht und trat ebenfalls in den Krieg ein (man sollte aber nicht die Appeasement-Politik der britischen Regierung in den 30er Jahren vergessen).


Der Plan der Franzosen – der Dyle Plan

Hitler griff im Mai 1940 die Maginot-Linie nicht frontal an, er nutzte die Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs aus. Wie geplant betraten die französischen Truppen Belgien und lieferten sich heldenhafte Kämpfe mit den Deutschen (davon die erste Panzerschlacht des 2. Weltkrieges). Selbst der deutsche Angriff auf Sedan wurde von einigen französischen Generälen in Kauf genommen (1935, 1937 und 1938 dachte man nur an einen Durchbruch der Frontlinie über die Meuse), folglich wurden einige Reservisten dort stationiert.


Der Plan der Deutschen – Fall Gelb


Es war nicht der Ort des deutschen Angriffs der die Franzosen überraschte, sondern seine Geschwindigkeit und die beeindruckende Koordination der deutschen Streitkräfte. Die Franzosen hatte damit gerechnet, die geschlagenen Breschen „abdichten“ zu können anstatt durchschlagende Gegenangriffe zu führen.
Nach der Umzingelung der alliierten Streitkräfte im Norden, der Evakuierung Dünkirchens (4. Juni) und dem Kriegseintritt Italiens (10. Juni), erreichen die Panzer Guderians die Schweizer Grenze in Pontarlier (17. Juni), 600.000 Man sitzen in Falle und werden immer weiter in einem Kessel zusammengedrängt.



Die Einkreisung Dünkirchens


In diesem Moment entschloss sich Hitler die Maginot-Linie anzugreifen. Die Deutschen zwingen einige kleinere Festungsanlagen (alle aus der „neuen Front“; s. Oben) zur Kapitulation und überqueren den Rhein. Die Besatzung der Festungswerke widersteht jedoch allen Angriffen (sogar den mit den mächtigsten Mitteln geführten Attacken mit 420mm Geschützen und Stukas) und fügt den Angreifern schwerste Verluste zu. Man vermutet, dass 22.000 Männer in den Anlagen des Elsaß und Lothringens mehr als 240.000 Deutschen Widerstand leisteten und dass in den Alpen 85.000 Gebirgsjäger in ihren Bunkern an die 650.000 Italiener gestoppt haben.

Der Waffenstillstand trat am 25. Juni 1940 in Kraft, erst am 1. Juli ergaben sich die Besatzungen der Festungswerke auf Befehl des französischen Oberkommandos den Deutschen. Unter diesen Aspekten kann man sagen, dass die Maginot-Linie vollkommen die ihr anvertraute Mission erfüllt hat: sie hat einen deutschen Überraschungsangriff verhindert - Frankreich ist das einzige Land, das Hitler nicht mit einem Überraschungsangriff überrennen konnte! Im Gegensatz zu Norwegen, Polen, Belgien... – sie hat die Mobilmachung gedeckt und verhinderte einen Einfall der Deutschen über diese Grenze. Elsaß-Lothringen und seine Industrie wurden geschützt und die Deutschen zu einem Angriff über das neutrale Belgien gezwungen.

Da keine ernsthaften französischen Gegenoffensiven (abgesehen von der von la Warndt 1939) erfolgten, sollte man hier die Schuld beim französischen Oberkommando oder der Politik suchen, außerdem stellt sich die Frage, woher die Passivität verschiedener französischer Regierungen gegenüber dem Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen Expansionsplänen (welche in Hitlers „Mein Kampf“ bereits genannt wurden) herrührte.

Zudem blieb eine entschlossenes Vorgehen als Reaktion auf die Besetzung des Rheinlandes aus, obwohl Paris wusste, dass sich Hitler im Falle einer französischen Intervention zurückgezogen hätte.

BG/13-11-08


- zurück